Fremde Menschen umarmen sich?
Können Sie sich vorstellen, auf der Strasse von einer wildfremden Frau umarmt zu werden? Mitten in der Altstadt? Nein? Sowas gibt’s tatsächlich. Und zwar nicht nur als Zufall. Sondern mit Absicht. Free Hugs nennt sich diese Bewegung und begeistert Menschen auf der ganzen Welt.
„Möchten Sie eine gratis Umarmung?“
Das haben wir öfters gesagt. Eine gratis Umarmung? Einen Free Hug? Hä? Oh, was für eine schöne Idee. Toll. Danke. Bitte. Gerne.
Wer? Bettina, die alles organisiert hat. Dazu 5 Frauen und 1 Mann.
Wo? Altstadt von Winterthur und im Niederdorf Zürich.
Wann? Mitte Dezember
Worum geht’s dabei?
Einem mir unbekannten Menschen ein Lächeln auf’s Gesicht zu zaubern. Für einen kurzen Moment Nähe herzustellen, Verbindung aufzunehmen. Menschliche Wärme und schöne Gefühle verbreiten. Einfach so. Ohne weitere Absicht.
Und wie war es?
Mir hat’s riesig viel Freude gemacht! Und mich tief im Herzen berührt. Ich bin so vielen Menschen begegnet, die sich aufrichtig darüber gefreut haben, umarmt zu werden. „Vielen Dank!“ oder „Wie schön, dass Sie das machen!“ oder „Ah danke, das hat jetzt aber gut getan!“ sind nur einige der Sätze, die mir in Erinnerung bleiben. Dazu ein strahlendes Lächeln auf einem vorher nachdenklichen, ernsten, konzentrierten oder sorgenvollen Gesicht.
Die einen haben laut gejuchzt. Andere haben mich stürmisch herumgewirbelt und hochgehoben. Manche haben sich nur sachte umarmen lassen und sich schnell wieder gelöst. Ein Zeichen von „es reicht“. Und manche haben mich richtig doll geknuddelt.
Mit einem riesigen Korb voller symbolischer Weihnachts-Geschenke bin ich an diesem ganz gewöhnlichen Dezember-Abend nach Hause gefahren.
Nach Hause zu meinem erleichterten Schatz. Er hatte schliesslich schon befürchtet, dass ich am Nachmittag alle Umarmungen verschenkt hätte. Ein kräftiger Herzens-Drücker hat ihn vom Gegenteil überzeugt.
Haben sich alle umarmen lassen?
Überhaupt nicht. Einige haben nur geschaut. Und sich nicht getraut. Sind stehengeblieben und haben schüchtern-lächelnd zugeguckt. Trotz meinem freundlich-aufmunternden Augenzwinkern hatten sie nicht den Mut, näherzukommen. Einige haben sogar laut gesagt „ich trau‘ mich nicht“. Viele haben ihren Freund angestupst „schau‘ mal, da gibt’s eine gratis Umarmung“ und sind weitergegangen. Und ich habe sie noch länger tuscheln sehen.
War’s auch mal unangenehm?
Nein, nie. Alle Menschen sind mir mit grossem Respekt begegnet. Negative Reaktionen gab’s keine. Sondern einfach Menschen, die grad da sind wo sie sind. Verschlossen, traurig, fröhlich, distanziert. Es gibt Menschen, die mögen keinen Körperkontakt. Oder zumindest nicht mit Fremden. Alles ist für mich okay, alles ist in Ordnung. Die Menschen genau da zu lassen und mit allen Reaktionen zu sein, war für mich als Gebende eine wichtige Erfahrung. Schliesslich weiss ich genau, wovon ich spreche…
Nie im Leben
Als junge Frau hätte ich mich nie im Leben umarmen lassen. Schon wenn mich meine beste Freundin sehr herzlich begrüsst hat, wurde mir mulmig. Das war einfach nicht meins. War mir zu nah. Hat mich verlegen gemacht. War mir unheimlich. Und ich hab‘ meine Freundin sehr gern gehabt. Daran lag’s definitiv nicht.
Woher kommt die Idee?
Juan Mann, ein Australier, welcher nach längerem Aufenthalt in London wieder in seine Heimat zurückkehrte, stellte am Flughafen traurig fest, dass niemand auf ihn wartete. Die meisten Fluggäste wurden von Verwandten, Freunden oder Bekannten mit einem Lächeln – oder eben mit einer Umarmung – in Empfang genommen.
Kurzerhand organisierte Juan sich einen grossen Karton, schrieb „Free Hugs“ drauf und stellte sich in die Fussgängerzone.
Nach 15 Minuten kam eine Frau auf ihn zu und erzählte ihm von ihrem Hund, der am Morgen gestorben sei. Und wie heute der 1-jährige Todestag ihrer Tochter sei, welche bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Und dass eine Umarmung jetzt, in diesem Moment, genau das sei, was sie sich grad wünscht. Als sie einen kurzen Augenblick später weiterging, lächelte sie.
Das war für Juan Inspiration genug, diese wunderbare Idee weiterzuverfolgen.
http://www.freehugscampaign.org/
Möchten Sie auch mitmachen?
Ganz einfach. Stellen Sie sich mit ein paar Freunden mitten unter Menschen. Halten Sie ein selbstgebasteltes Schild „Free Hugs“ oder „Gratis Umarmung“ in die Höhe… und warten Sie, was passiert. Oder googlen Sie nach der nächsten Free-Hugs-Aktion ganz in Ihrer Nähe und seien Sie dabei.
Übrigens: Ich mache gerne auch immer mal wieder mit. Fragen Sie mich einfach.
Was Sie dafür brauchen?
Etwas Mut. Nur für die ersten paar Umarmungen. Dazu ein offenes Herz, Ihr strahlendstes Lächeln und starke Arme.
